MARIANNE BRANDT
Photographien am Bauhaus
»Ein Selbstportrait ist ein Spiegelbild …« und »das Spiegelbild ist Metapher für die Lust am Selbst wie für die Angst vor dem Nichtsein …«1.
Im photographischen Werk von Marianne Brandt spielen Selbstportraits, von ihr auch als »Selbstfotos« bezeichnet, eine besondere Rolle. In optisch verwirrenden Kombinationen aus reflektierenden Metallkugeln, Glas und Spiegeln versteckt sie ihr Selbstbild wie in einem künstlichen Kosmos. Meist setzt sie sich ins Zentrum des Arrangements, gleichsam ins Innere ihrer Bildwelt, während sie die Umgebung durch bauhaustypische Versatzstücke wie Stahlrohrstühle, die Balkone des Prellerhauses oder durch im Zerrspiegel gesehene Landschaftsausschnitte markiert. Martialisch wirken ihre Selbstdarstellungen, die 1929 auf einem der inzwischen legendären Faschingsfeste am Dessauer Bauhaus, auf dem »Metallischen Fest«, entstanden sind.
Als Leiterin der Metallwerkstatt muß das Thema des Festes ihre Phantasie besonders herausgefordert haben, als Photographin hat es ihr jedenfalls »glänzende« Motive geboten. Überall »tönte und klang es und glänzte es … Durch zwei Stockwerke hindurch hatte man Säle und Räume, die sonst ernsthafter Arbeit dienten, feenhaft mit metallglänzenden, in den mannigfachsten Formen zusammengestellten Wandverkleidungen zusammengestellt«2. Sich selbst hat Marianne Brandt in einem eigens für das Fest aus Metallelementen kombinierten Kostüm mit Tellerhut in strengem Profil festgehalten. Die Härte des Materials, besonders des eng unter dem Kinn gebundenen Hutbandes, kontrastiert mit der Weichheit des reflektierenden Glanzes und den kleinteilig verspielten Schmuck-Accessoires wie Ohrgehänge und Brustschmuck.
Nicht nur am Bauhaus wurde Metall in der künstlerisch gestaltenden Produktion von Gebrauchsgegenständen und Architektur als Material der fortschreitenden Technisierung und als Ausdruck moderner Ästhetik gesehen. Unter den Photographinnen und Photographen der Zeit war es Germaine Krull, die 1928 mit ihrem gleichnamigen Photoalbum »metal«
diesem technischen Werkstoff gleichsam eine Hommage gesetzt hat.
Anfang 1924 kam Marianne Brandt ans Bauhaus in Weimar. Die von Walter Gropius 1919 gegründete Kunsthochschule galt vor allem wegen der reformerischen Pädagogik als Ausbildungsstätte zur ästhetischen Erneuerung. Studentinnen und Studenten kamen von überall her, um die Gesetze einer modernen Gestaltung zu erlernen. Als Marianne Brandt sich für eine Ausbildung am Bauhaus entschied, war sie bereits dreißig Jahre alt und hatte zwischen 1911 und 1917 an der Großherzoglichen - Sächsischen Hochschule für Bildende Künste, der ehrwürdigen Vorgängerin des Bauhauses ein Studium der Malerei und Plastik absolviert .
In zwei Semestern Vorkurs mit Übungen am Material, mit Analysen von Formen und Farben sowie ersten Gestaltungsversuchen erlebte sie nun bei Josef Albers, Wassily Kandinsky, Paul Klee, besonders aber bei dem Experimentator László Moholy-Nagy eine ganz neue Seh- und Arbeitsweise. Lehrmethode und praktische Anwendung müssen ihr sehr zugesagt haben, wie ihr überhaupt die in jeder Hinsicht offene Atmosphäre am Bauhaus gefiel. Sie war sogar dermaßen von den neuen Ideen, dem unkonventionellen Umgang mit Themen und Materialen und der gelebten Verbindung von Kunst und Alltag angetan, daß sie – vermutlich 1926 - ihre frühen malerischen Arbeiten größtenteils verbrannte.
Nach erfolgreichem Abschluß des Vorkurses wurde Marianne Brandt in die Metallwerkstatt aufgenommen, eine Ausnahme für eine Frau, die in ihrem Fall auf die besondere Befürwortung von Moholy-Nagy zurückging. Moholy-Nagy hatte ihr als Lehrer am meisten Anregungen geboten und ihre Begabungen früh erkannt und gefördert. Dennoch »Eine Frau gehört nicht in die Metallwerkstatt«, so galt es und so hatte auch Marianne Brandt den Eindruck gewonnen; und als es ihr doch gelang, wurde sie eben zu den unkreativen, aber notwendigen Tätigkeiten herangezogen: »Wie viele kleine Halbkugeln in sprödem Neusilber habe ich mit größter Ausdauer in der Anke geschlagen und gedacht, das müsse so sein«3, erinnerte sie sich noch in hohem Alter an ihre Lehrjahre.
Dann aber hatte sie sich durchsetzen können. Geniales Gestaltungsempfinden, technisches Können sowie Ausdauer und Durchsetzungsvermögen machten Marianne Brandt schließlich zur erfolgreichsten Produktgestalterin der Metallwerkstatt. Bis heute sind mit ihrem Namen vor allem das aus den geometrischen Elementarformen entwickelte Tee- und Kaffeeservice (1924), die zeitlos schlichte Schale (1928), das aus edlen Materialien bestehende Tee-Extrakt-Kännchen (1924) und die schlicht elegante Kandem-Zylinderleuchte (1928) verbunden. 1928 nach Moholy-Nagys Weggang wurde sie zu seiner Nachfolgerin ernannt, durfte allerdings die Werkstatt nur kommissarisch leiten, die dann 1929 unter dem neuen Bauhausdirektor Hannes Meyer durch Zusammenlegung mehrerer Werkstätten in der Ausbau-Werkstatt aufging. Diese einschneidende Veränderung hat schließlich auch entscheidend zu Brandts Weggang vom Bauhaus beigetragen.
Photographieren hatte für Marianne Brandt – wie für die meisten Bauhäusler – einen experimentellen Charakter. 1925/26 begann sie sich intensiv mit Photographie zu beschäftigen und professionalisierte ihren Umgang mit dem Apparat kontinuierlich. Ihre Aufnahmen, die neben den Metallarbeiten entstanden, waren nicht zur kommerziellen Verwertung gedacht. Sie machte Portraits ihrer Kolleginnen und Kollegen und wählte die für die Bauhäusler so typischen Motive vom Leben und der Arbeit am Bauhaus, in den Werkstätten, bei Theaterveranstaltungen – gleichsam Versuche, im Bild die eigene Befindlichkeit festzuhalten. Ihre Sachaufnahmen dagegen erscheinen wie Materialstudien in einem anderen Medium. Bei dieser Art Photographien fällt auf, »daß sich ihre Gestaltungsenergie nicht auf das Blattformat allein beschränkt, sondern daß sie leicht eine umfassendere Tendenz zu funktionellen Gesamtzusammenhängen entwickeln und fast immer auch als Montageelemente für typofotografische oder Designzwecke denkbar wären«4.
Marianne Brandt, die sich einerseits durch die strengen Formen der zu gestaltenden Körper in der Metallwerkstatt immer an der Bauhausmaxime »funktional, schön und preisgünstig« orientiert hatte, konnte sich in ihren Photographien nun künstlerisch ganz frei entfalten. Sie spielte alle Möglichkeiten durch, die der Apparat hergab: Auf-, Nieder- und Nahsichten, Detailaufnahmen, Doppelbelichtungen und Spiegelungen, aber auch mit Montagen operierte sie, zum ersten Mal, als sie sich 1926 neun Monate in Paris aufhielt. Ihren größten Erfolg als Photographin hatte sie mit ihrer Teilnahme an der Werkbundausstellung »Film und Foto« 1929 in Stuttgart. Hier war sie mit fünf Aufnahmen beteiligt, unter anderem mit einem der Selbstbilder vom »Metallischen Fest« und dem »Stilleben mit Uhr und Metallkugel«, in dem einmal mehr die ihre eigene kleine Welt spiegelnde Kugel als Teil eines größeren, präzis-mechanischen Gefüges aufscheint.
Marion Beckers
Anm.
1 Thomas Kempas, Der Künstler und sein Spiegel-Selbst, in: Spiegel-Bilder, Ausst.-Kat., Hannover 1982, S. 482
2 zit. nach Hans Maria Wingler, Das Bauhaus 1919 – 1933, Weimar, Dessau, Berlin und die Nachfolge in Chicago seit 1937, Bramsche 1962, S.164
3 Marianne Brandt, Brief an die junge Generation, in: Eckhard Neumann (Hg.), Bauhaus und Bauhäusler – Bekenntnisse und Erinnerungen, Bern 1971, S. 78
4 Andreas Haus, Fotografie am Bauhaus: Die Entdeckung eines Mediums, in: Fotografie am Bauhaus, Ausst.-Kat., Berlin 1990, S.148
Eröffnung
Mittwoch, 19. November 2003 | 19 Uhr
Es sprechen
Elisabeth Wynhoff,
Kuratorin der Ausstellung
Sabine Hartmann,
Bauhausarchiv Berlin
Laufzeit
20. November 2003 - 08. Februar 2004
geschlossen: 24.12.2003 - 04.01.2004
Öffnungszeiten
DO - FR 15 - 19 h | SA - SO 12 - 16 h
Veranstaltungen
Bücherbazar ab 11. Dezember 2003
ZUR
LANGEN NACHT DER MUSEEN
am 31. Januar 2003 | ist das Museum
von ZWÖLF bis ZWÖLF geöffnet.
EINLADUNGSKARTE zur Ausstellung
PUBLIKATION
Marianne Brandt – Fotografien am Bauhaus
Hrsg. Elisabeth Wynhoff
Schriften des Instituts für Kunst und Design,
Gerda Breuer, Bergische Universität Wuppertal
Texte: Gerda Breuer, Jeannine Fiedler,
Elisabeth Wynhoff, Elizabeth Otto, 104 S.
Wuppertal, Ostfildern-Ruit, 2003
STANDORT > ADRESSE
Der Verein DAS VERBORGENE MUSEUM | Dokumentation der Kunst von Frauen eV
hat seine Tätigkeit seit dem 1. Januar 2022 eingestellt.
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+49 (0) 30 861 34 64
MAIL>ADRESSE | weiterhin aktuell
berlin@dasverborgenemuseum.de
Zur Ausstellung liegt die Publikation vor:
Marianne Brandt - Fotografien am Bauhaus mit Texten von Elisabeth Wynhoff (HG)
Jeannine Fiedler, Elisabeth Oho, Osterfilden-Ruit, 2003